Die Welt der Verbände und die Steuerung eines Verbandes werden immer komplexer. Nicht nur aufgrund des digitalen Wandels, der inzwischen viele Handlungsfelder der Verbandsarbeit erfasst. Auch die klassischen Verbandsstrukturen und Satzungen scheinen oft nicht mehr so recht zu den neuen Herausforderungen zu passen. Für die vorliegende Trendübersicht befragte der Verbändereport verbandliche Führungskräfte – insbesondere aus dem Kreis der DGVM – zum Jahr 2020.

Verbände balancieren im aktuellen Jahr zwei große Trends aus. Einerseits stehen „Wertestabilität, ein klarer Kompass der politischen Lobbypositionierung sowie professioneller und integrer Selbstanspruch“ im Fokus. Auf der anderen Seite, so bringt es Julius Wagner vom Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen e. V. auf den Punkt, stehen eine „neue Lockerheit, mehr Raum für Kontroversen“. Es geht darum, „weniger Meinungsvorherrschaft zu beanspruchen, sich breit und aufgeschlossen dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu öffnen“.

Dabei wollen viele Verbände Altbewährtes nicht über Bord werfen, sondern die klassische Verbandsstruktur mit den neuen Trends und Herausforderungen in Einklang bringen. Ziel ist es, die gelernte und stets geübte Integrität des eigenen Verbandes mit dem Wunsch nach flachen Hierarchien und intensiver Partizipation übereinzubringen: „In diesem Zusammenhang spielen die Wege der Kommunikation mit den Mitgliedern eine erhebliche Rolle“, so Wagner weiter. Verbände müssten dorthin, wo ihre Mitglieder bereits sind, und nicht ernsthaft glauben, dies ginge umgekehrt – der Verband muss sich wandeln und nicht den traditionellen Wegen hinterhertrauern.

Für einen überwiegenden Teil der befragten Verbandsmanager stehen besonders drei Themen im Vordergrund:

  • Profil des Verbandes schärfen (Marke/Image schärfen und ausbauen)
  • Chancen der digitalen Transformation für den Verband nutzen
  • Presse- und Öffentlichkeitsarbeit neu denken, verstärkt soziale Medien einsetzen

Die digitale Transformation erfasse grundlegende Handlungsfelder der Verbandsarbeit, meint Dr. Holger Mühlbauer vom Bundesverband IT-Sicherheit e. V. (TeleTrusT): „Seit einiger Zeit bereits besteht der Trend weg von der klassischen, statischen Pressemitteilung hin zu kurz getakteten schnellen Social-Media-Aussendungen, mit denen die öffentliche Wahrnehmung des Verbandes verbessert wird. Gefragt sind dabei prägnante Statements, die komplexe Sachverhalte im Sinne der Verbandslinie auf den Punkt bringen.“ Gleichzeitig stellen sich Verbände darauf ein, mit zeitnahen „digitalen Aussendungen eine wichtige Informationsdienstleistung für die Mitglieder“ zu erbringen und einen erkennbaren informativen Mehrwert zu liefern. Darauf müssen sich Verbände einstellen und auch professionelle digitale Politikbeobachtungsdienste und schnelle Reaktionswege im Verband etablieren.

Sehr deutlich wird, dass digitale Transformation und die Meisterung der Digitalisierung eben nicht nur ein technischer Aspekt sind, sondern an den Kern der Verbandsarbeit gehen. Insofern überrascht es wenig, dass die Mehrheit der Befragten dem Verband ein noch deutlicheres Profil und eine starke Marke geben will, um im Vielklang sozialer und digitaler Kommunikation zu bestehen.

Herausforderungen 2020 - das sagen die DGVM-Mitglieder:

Verbände müssen sich offen zeigen für die aktuellen und zukünftigen Veränderungen in der Gesellschaft. Dabei gilt es, mit den externen Stakeholdern ebenso wie mit internen Interessengruppen und Mitgliedern mithilfe verschiedener digitaler Kanäle und Kommunikationsformate schnell in einen echten Austausch zu kommen - nicht nur one way die eigene Meinung kundzutun.
Florian Becker, Bauherren-Schutzbund e.V.
Verbände leben vom Engagement ihrer Mitglieder. Deswegen sind moderne, flexible und attraktive Mitwirkungsmöglichkeiten entscheidend für den Erfolg der Verbandsarbeit. Vor allem gilt es den richtigen Ton zu treffen, um auch jüngere Generationen zu mobilisieren.
Dr. Matthias Meyer-Schwarzenberger, Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V.
Die Zukunft der Verbände liegt in der Vergangenheit. Wenn alle Welt von #purpose und #legacy redet, dann müssen wir das Gründungsversprechen wieder neu beleben und erlebbar machen. Verbände sind emotionale NGOs - keine höheren Behörden - und müssen sich auch für das Mitglied und die Öffentlichkeit so anfühlen.
Dr. Christoph Münzer, wvib Schwarzwald AG
Es gibt Traditionen, die sind es wert, dass sie aufrecht erhalten werden. Allerdings muss ein Verband immer offen bleiben, um von der nächsten Generation zu lernen und mutig sein, neue Schritte zu gehen.
Dr. Elisabeth Kapatsina, Deutsche Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie e.V.
Wir müssen da hin, wo unsere Mitglieder sind und dürfen nicht ernsthaft glauben, dies ginge umgekehrt, sprich, die Mitglieder läsen Mails anstatt fleißig in den sozialen Netzwerken zu posten, und dort müssen wir uns anpassen: Schluss mit dem Verbandssprech...
Julius Wagner, Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen e.V.
Die Gewinnung von haupt- wie auch von ehrenamtlich Tätigen wird eine große Herausforderung. Die Menschen wollen gesellschadftliche Verantwortung übernehmen, gestalten und Gutes tun. Im Haupt- und Ehrenamt müssen hiefür Freiräume geschaffen werden.
Philipp Wendt, Deutscher Anwaltverein e.V. (DAV)
Unsere Angebote und Dienstleistungen sind passgenau auf unsere Mitglieder zugeschnitten und werden stetig weiterentwickelt. Unsere Veranstaltungen zeichnen sich durch innovative Formate aus, die neue Formen des Austauschs der Mitglieder untereinander ermöglichen. Die Vernetzung der Mitglieder untereinander ist der entsprechende Mehrwert, der insbesondere unsere Veranstaltungen charakterisiert.
Claudia Pfeiffer, Kommunaler Arbeitgeberverband e. V. KAV Berlin
Gerade für kleine und mittlere Verbände, stellen sich im Jahr 2020 vor allem Fragen der Flexibilisierung und Professionalisierung von Struktur und Kommunikation. Digitalisierung unterstützt uns dabei, den Verband mit seinem hohen Anteil an Ehrenamt dezentral schlagkräftig zu halten.
Dr. Johannes R. Gerstner, Europäische Feuerstätten Arbeitsgemeinschaft e.V.
Verbände müssen sich mehr und mehr als moderne Dienstleister für Ihre Mitglieder positionieren und einer Kosten-Nutzen Bewertung stellen. Sie müssen intensiv mit den Mitgliedern kommunizieren und schaffen im großen digitalen Rauschen Erfolge effektiv nach außen und innen bekannt zu machen. Sie müssen eine Brücke zwischen Brancheninteressen und gesellschaftlichen / politischen Trends bilden. Digitalisierung der verbandlichen Prozesse ist ein Muss, um in 10 Jahren noch zu bestehen.
Tobias Hain, Industrieverband Massivumformung e.V.
Es kommt darauf an, Zielgruppen passgenau mit relevanten Botschaften über die wachsende Vielzahl der Nachrichtenwege zu erreichen. Ein besonderes Augenmerk liegt weiterhin auf den Social-Media-Plattformen. Hier können komplexe Zusammenhänge verdichtet, veranschaulicht und in passenden Formaten erzählt werden. So ein Storytelling bietet für den SoVD große Chancen, da er als ein starker und lebendiger Sozialverband glaubwürdig kommunizieren kann.
Stephanie Rinke, SoVD – Sozialverband Deutschland e.V.
Neues Jahr, neue Kommunikationswege - das steht in unserem Verband auf der Agenda. Das geänderte Kommunikations- und Konsumverhalten von Medien seitens unserer Mitglieder erfordert, neue Wege zu gehen. Das bedeutet für uns, eine schnellere und fokussierte Kommunikation mit neuen Bordmitteln zu etablieren und unsere Rolle als Provider von Angeboten und Informationen für die Mitglieder neu zu denken und zu leben.
Eckhard Döpfer, Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) e.V.
Die Komplexität des Wandels erfordert ein Umdenken auch in Verbänden. Sinnvolle und wirksame Vernetzungen, verbandsübergreifende Angebote für Mitglieder, echte Kooperationen zwischen Verbänden und ein konsequentes Zusammenschließen im Bereich der Lobbyarbeit sind sinnvoller denn je, um auch gegenüber der Politik Stärke zu zeigen.
Axel Schäfer, Bundesverband Fuhrparkmanagement e.V.

Von einem Megatrend der Konnektivität spricht Jürgen Block, Geschäftsführer der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland: „Die disruptive Kraft der Konnektivität sollte von den Verbänden antizipativ und somit positiv genutzt werden, nämlich zur Überwindung von Verbandsgrenzen und zur Entwicklung von neuen Formen der Gemeinschaft und des Zusammenarbeitens.“ Ähnlich sieht das Eckhard Döpfer von der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) e. V., der das geänderte Kommunikations- und Konsumverhalten von Medien seitens der Mitglieder in den Mittelpunkt rückt und fordert, neue Wege zu gehen: „Im Zuge der Digitalisierung wird die Aufmerksamkeit zu einem immer knapperen Gut. Und dann kann es fatal werden, wenn Mitglieder von ihrem Verband ‚nichts mehr mitbekommen‘. Diesem Trend muss man große Beachtung beimessen – und sich anpassen. Das bedeutet für uns, eine schnellere und fokussiertere Kommunikation mit neuen Bordmitteln zu etablieren und unsere Rolle als Provider von Angeboten und Informationen für die Mitglieder neu zu denken und zu leben.“

Das betrifft große wie „kleine“ Verbände, findet Dr. Johannes Gerstner von der Europäischen Feuerstätten Arbeitsgemeinschaft e. V., „denn die Anforderungen an Verbände von außen, aber besonders durch die Mitglieder von innen wachsen. Wer hier keine messbaren Erfolge hat, ist gerade als kleiner und mittlerer Verband schnell wieder in der Versenkung verschwunden.“

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den einzelnen Trends wider. Übergreifende Themen, die den Querschnitt des Verbandes betreffen, gewinnen seit Jahren deutlich an Relevanz und bestimmen erstmals in diesem Jahr die Top-3-Herausforderungen. Das zeigt sich besonders deutlich bei ausgewählten abgefragten Trendentwicklungen der letzten Jahre. Der Vergleich über die letzten drei Jahre veranschaulicht, dass sich die Professionalisierung der Verbandsarbeit hin zu einem Dienstleister für die Branche und die Mitglieder verstetigt – und dass Verbände die Herausforderung der sich massiv verändernden Gesellschaft annehmen und aktiv mitgestalten.

Das wird auch anhand der immer geringer werdenden Abstände zwischen den abgefragten Trends klar. Gab es bis vor einigen Jahren noch zwei einzelne Trends, die sehr deutlich herausragten, sind klare Favoriten in 2020 abermals an das Mittelfeld herangerückt und alle Trends enger beisammen. Im Ergebnis zeigt sich damit auch die zunehmende Komplexität zukunftsweisender Verbandsentwicklung: Sie ist ein verschränkter Prozess, der viele einzelne Maßnahmen in den Blick nimmt. „Als Verband sind wir ein kompetenter und verlässlicher Partner an der Seite unserer Mitglieder, insbesondere in Zeiten des Wandels. Die Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess“, fasst Claudia Pfeiffer vom Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin zusammen.

Nicht erst seit gestern ist die Welt im Wandel – darauf weist auch Christoph Möller von Swinging World e. V. hin und formuliert als Fazit: „Individualisierungen von technischen Möglichkeiten schreiten immer weiter voran. Die Mitglieder von morgen wachsen in Zeiten auf, in denen Mobiltelefone zwar äußerlich komplett identisch, jedoch von der Software her perfekt auf den User abgestimmt sind.“ Das führe dazu, dass Verbände die „Kraft der Gemeinschaft und das Zurückstellen der Einzelinteressen noch deutlicher kommunizieren werden müssen“ als in der Vergangenheit. Das sei ein Konzept, um den technologischen wie gesellschaftlichen Wandel weit aktiver und positiver mitgestalten zu können.

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