Verbände sind in Deutschland und auf der EU-Ebene Aktivposten der demokratischen Verfassung. Daran ändert auch die Verwendung des oftmals negativ verstandenen Wortes „Lobbyismus“ nichts. Zur Erinnerung: Die Interessen leiten sich meist direkt oder indirekt aus dem Grundgesetz ab. Dabei ist Artikel 9 Grundgesetz mit der Garantie der Koalitionsfreiheit mit anderen Grundrechtsartikeln wie insbesondere der Versammlungsfreiheit verknüpft. In der Europäischen Union besteht eine umfassende Einbindung von Interessenvertretern. In Artikel 11 des Vertrags über die Europäische Union sind Grundsätze für Konsultation und Partizipation festgelegt. Doch bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde die Grundlage für die Interessenvertretung gelegt. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit folgte der entscheidende Schritt. Schon 1867 wurde die Koalitionsfreiheit festgelegt. Damals wie heute ist der Begriff eines Interessenverbandes definiert als ein freiwilliger oder durch verschiedene Formen des Zwanges erfolgter Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen, der zu einem Mindestmaß verfasst ist, um Interessen der Mitglieder entweder selbst zu verwirklichen oder durch Mitwirkung oder Einwirkung auf Gemeinschaftsentscheidungen durchzusetzen, ohne selbst die Übernahme politischer Verantwortung anzustreben.
Im Mittelpunkt der Interessenvertretung geht es um Mitbestimmung. Menschen und Unternehmen, die von politischen, gesellschaftlichen oder anderen Entscheidungen und Entwicklungen betroffen sind, wird die Gelegenheit zur Mitsprache ebenso gegeben wie die Beteiligung an Entscheidungen. Das ist beispielsweise auch im Bereich der Gesetzgebung institutionalisiert durch vorgeschriebene Anhörungen seitens des Gesetzgebers, was seinen gesetzlichen Niederschlag in § 47 Gemeinsame Geschäftsordnung des Bundes findet. Damit wird dem angestrebten Interessenausgleich bereits im Stadium des Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen.
Doch auch ohne gesetzliche Untermauerung ist die Interessenvertretung Teil des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Der damit einhergehende Diskurs ist ein wesentliches Element unserer demokratischen Verfassung. Das gilt für die Proteste der Landwirte ebenso wie für die Streiks der Gewerkschaft der Lokomotivführer oder das Bodenpersonal an den Flughäfen. Denn unsere Demokratie lebt vom Austausch (und Ausgleich) der Interessen. Natürlich muss sich jede Interessenvertretung insbesondere der Kritik der anderen Seite stellen, weil es gesellschaftliche Gruppen mit entgegengesetzten Interessen gibt. Die Auseinandersetzungen werden in der Regel auch über Medien und die Öffentlichkeit ausgetragen. Die damit einhergehende Öffentlichkeitsarbeit ist demzufolge notwendiger Bestandteil.
Zum Wesen der verbandlichen Interessenvertretung gehört die dauerhafte Außenbeziehung zu Politik und Gesellschaft, ergänzt um punktuell angelegte Einzelmaßnahmen. Das wird von der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien berücksichtigt.
Davon ist der eigentliche Lobbyismus abzugrenzen. Denn dieser hat nur Projektcharakter. Er basiert nicht auf einer dauerhaften Austauschbeziehung. Dem trägt der Gesetzgeber Rechnung durch das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregistergesetzes für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und gegenüber der Bundesregierung vom 16.April 2021 (BGBl. I S. 816, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15. Januar 2024). Auch mit den seit dem 1. März 2024 in Kraft getretenen Änderungen erkennt der Gesetzgeber ausdrücklich die Verbände an.
Die Bedeutung der Verbände nimmt zu. Auch in Zukunft wird es keine Politik ohne politische Interessenvertretung geben. Doch ihr regulatorischer Rahmen verändert sich – wie in der Vergangenheit – stetig. Während wir unsere Welt als immer komplexer wahrnehmen, tendiert auch die Gesetzgebung zu einer immer kleinteiligeren Regulierung. Verbände reagieren und arbeiten weiterhin heraus, welche Folgen dies für ihre Mitglieder hat. Das lässt sich in Ansehung der fortschreitenden Digitalisierung noch nicht im Detail absehen. Diese kann zu einer Verringerung der Bürokratielasten und damit zu einer Vereinfachung führen. Durch den technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt entstehen aber fortlaufend neue Regelungsbedarfe. Ferner entsteht im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure eine komplexe Interessenlage. Auch scheint es naheliegend, dass in der politischen Interessenvertretung die Verbreitung der künstlichen Intelligenz (KI) Arbeitsabläufe verändert. Das gilt insbesondere für die Informationsgewinnung sowie Erstellung von Texten. Vereinfachungen sind angesagt. Doch die Bedeutung des Faktors Mensch wird zunehmen. Denn Interessenvertretung erfordert einen umfassenden Kontext, d. h. Erfahrung im politischen Betrieb, profunde Kenntnisse über die eigenen Interessen sowie ein belastbares persönliches Netzwerk und die unmittelbare soziale Interaktion.
Damit kann die Interessenvertretung messbarer werden. Allerdings ändert sich nichts daran, dass die Ziele der Interessenvertretung meist langfristig sind. Ferner hängt der Erfolg der Interessenvertretung von unzähligen Faktoren ab. Auch wenn wir mit der Digitalisierung und der KI einen neuen Instrumentenkasten erhalten, lassen sich daraus noch keine Schlüsse ziehen. Die neuen Möglichkeiten versetzen aber Verbände in die Lage, ihre Arbeit messbarer zu machen und Ziele klarer zu definieren.
Angesichts der hohen Komplexität, steigender Anforderungen und nur teilweise messbarer Erfolge stellt sich die Frage, ob sich die politische Interessenvertretung von Verbänden künftig lohnt. Ich bejahe dies uneingeschränkt. Gerade wenn Interessen nicht mehr von Menschen aktiv vertreten werden, besteht die Gefahr, dass sie im politischen Prozess untergehen. Verbände müssen stärker als bislang der Politik kontinuierlich die Bedürfnisse und die Forderungen sowie Erwartungen erklären. Verbände müssen sichtbar bleiben, müssen ein Gesicht zeigen. Denn nur so finden sie Gehör. Von daher erleichtern die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz die organisatorischen Abläufe, was die Menschen im Bereich der Interessenvertretung entlastet. Das bietet Chancen und stellt neue Herausforderungen für die politische Interessenvertretung dar.
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